in: Vaihinger Kreiszeitung vom 13. Oktober 2021
Im Evangelischen Lichtenstern-Gymnasium in Sachsenheim ist noch bis zum 22. Oktober eine Wanderausstellung über Theodor Heuss zu sehen.
Passend zum Wahlherbst gastiert im Schulfoyer des Evangelischen Lichtenstern-Gymnasiums Sachsenheim die Heuss-Wanderausstellung der Stiftung Theodor-Heuss-Haus in Stuttgart. Als Expertin stellte Dr. Gudrun Kruip Konzeption und Inhalt der Ausstellung nun in einem Abendvortrag vor. Schülerinnen und Schüler zeichneten ein Porträt sowohl von Elly als auch von Theodor Heuss. Bis zum 22. Oktober haben Schüler, Mitarbeiter, Lehrer, Eltern sowie die Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich anhand der Ausstellung mit Leben und Wirken von Elly und Theodor Heuss zu beschäftigen.
60 Interessierte hatten sich im Foyer des Lichtenstern-Gymnasiums eingefunden, um sich auf eine Begegnung mit Elly Heuss-Knapp (1881-1952) und ihrem Ehemann und ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss (1884-1963) einzulassen. Dessen Leben war von zahlreichen Brüchen und geografischen Neuorientierungen geprägt, was Zehntklässlerin Finja Pohl in ihrer biografischen Einführung herausarbeitete. So wird Theodor Heuss bis heute immer als Schwabe durch und durch wahrgenommen, worüber man vergisst, dass der Brackenheimer die längste Lebensspanne in Berlin verbrachte. Als Ökonom, Journalist, Dozent oder auch Politiker wirkte er in den unterschiedlichsten beruflichen Funktionen. Diese Vielzahl beruflicher Aktivitäten verdeutlicht seine außerordentliche Begabung, die unterschiedlichsten Herausforderungen der Arbeitswelt erfolgreich zu meistern und dabei immer wieder seinen Platz zu finden, ganz so, wie es unsere beschleunigte Arbeitswelt heute von uns verlangt.
Als Impulsgeberin trat mit Mia Fleckhammer eine zweite Zehntklässlerin ans Rednerpult. In ihrer Vorbereitung des Abends und bei ihren Rundgängen durch die Ausstellung fiel ihr besonders auf, wie bieder uns die zahlreichen Bilder der Ausstellung nach heutigen Gesichtspunkten erscheinen. Doch bieder sei Elly Heuss-Knapp ganz sicher nicht gewesen. Als Ehefrau und Mutter ging sie für die Zeit ganz untypisch einem Beruf nach, fuhr Fahrrad, setzte sich für Frauenrechte und insbesondere für das Frauenwahlrecht ein und galt zu ihrer Zeit als eine dieser „modernen" Frauen. Finja Pohl und Mia Fleckhammer hoben in ihren Ausführungen die liberalen Elternhäuser hervor, in denen Elly Knapp und Theodor Heuss aufwuchsen und die zeitlebens ihre Grundhaltung prägen sollte. Im Vortrag von Dr. Gudrun Kruip wurde die überragende Bedeutung des Theologen und Gründers der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) – der Vorläuferin der liberalen FDP –, Friedrich Naumann, für Heuss herausgearbeitet, quasi ein „Säulenheiliger". Kruip betonte, dass es in der Ausstellung gerade nicht darum gehe, Heuss auf ein verklärendes Podest zu heben. Insbesondere die nachträgliche Verklärung und Verdrängung seiner Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz in der NS-Zeit sei fragwürdig. Gleiches gilt für seine mit der Sozialisation im Wilhelminismus zu erklärende Zustimmung zum „Schmutz und Schund-Gesetz" von 1926, welches etwa von Thomas Mann als Einfallstor für Zensur gedeutet wurde. Nachfragen aus dem Publikum verstärkten den Blick auf kritische Aspekte der Biografie von Heuss. Unverständlich muss zum Beispiel sein Eintreten für Täter der NS-Zeit nach 1945, wie Martin Sandberger, erscheinen. Kruip erklärte dies mit der bürgerlichen Gedankenwelt von Heuss, der sich nicht vorstellen konnte, dass Personen aus dem Bildungsbürgertum grundsätzlich böse sein konnten.
Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich und die junge Bundesrepublik Deutschland – vier politische Systeme erlebten Elly Heuss-Knapp und Theodor Heuss, bis der lange Weg Deutschlands hin zu einer stabilen Demokratie vollendet war. Der Titel dieser Ausstellung könnte kaum treffender sein. „Demokratie als Lebensform" passt, denn die beiden konnten erst mit der Gründung der Bundesrepublik eine Staatsform leben, die ihrer liberalen Grundhaltung entsprach und für die sie sich zeitlebens stark gemacht hatten. Theodor Heuss wirkte bei der Ausgestaltung des Grundgesetzes mit. Er hatte ein feines Gespür für staatsrechtliche Symbolik und setzte sich für die Abkehr von den Reichsfarben und für Schwarz, Rot und Gold als Farben der deutschen Flagge ein. Vom kaiserlichen Untertan zum Bürger als Staatspräsident, so könnte man die Lebensspanne des Brackenheimers beschreiben. Dazwischen zwei Weltkriege und eine gescheiterte Republik.
Elly Heuss-Knapp widmete sich der Frauenbildungsbewegung, so wie es auch die Gründerinnen der Wirtschaftlichen Frauenschule in Sachsenheim taten. Als Werbefachfrau entwickelte sie großes wirtschaftliches Gespür, gab wichtige sozialpolitische Impulse und gründete kurz vor ihrem Tod das Müttergenesungswerk, das bis heute vielen Familien einen wichtigen Beitrag für das Gelingen von Familie leistet. Ein Rundgang durch die Ausstellung ist sowohl eine Begegnung mit dem ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik als auch mit Elly Heuss-Knapp, die viel mehr war als lediglich die Frau an seiner Seite.